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Hirtenbrief zur österlichen Fastenzeit von Bischof Dieser

Kirchenbänke
Datum:
21. Feb. 2021
Von:
Christoph Tenberken

Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Aachen,

der Regenbogen ist eine natürliche Erscheinung, die man wissenschaftlich erklären kann.

Ich erinnere mich noch an meinen Physikunterricht, in dem wir lernen sollten, warum die kleinen Wassertröpfchen in der Atmosphäre das Sonnenlicht in seine Einzelfarben aufspalten, warum der Bogen rund ist und warum die blauen Farben innen und die roten außen liegen.

Die Heilige Schrift sieht in dieser Naturerscheinung etwas weit Höheres. Denn die Natur kann nicht nur innerhalb ihrer selbst erklärt werden, sondern sie spricht auch von ihrem Schöpfer und er spricht durch sie. 

Der Regenbogen wird so im Buch Genesis zu einem Bundeszeichen. Wer den Bogen sieht, soll daran erinnert werden: Gott will und erhält das Leben auf dieser Erde. Keine Flut und keine Pandemie sollen jemals diesen Schöpferwillen ins Gegenteil verkehren. Kein lebendes Wesen soll jemals am Lebenswillen Gottes irrewerden.

Unter der Last und den Leiden der Corona-Pandemie können diese tiefen Glaubensaussagen ein großer Trost für uns sein.

Darum wäre es viel zu einfach und sogar falsch zu sagen, die Pandemie sei eine Strafe Gottes, eine neue Sintflut!

Wohl aber erinnert sie uns an das Grundgesetz der Schöpfung, das auch für uns Menschen gilt: Gott gedenkt des Bundes, der besteht zwischen ihm und uns und allen Lebewesen.

Wenn in diesen Tagen Naturwissenschaftler erforschen wollen, wie und warum das Corona-Virus von Wildtieren auf den Menschen überspringen konnte, so hat das zutiefst auch mit diesem Grundgesetz zu tun, das Gott der Schöpfung gegeben hat: Wir dürfen die Schöpfung nicht wie Räuber ausbeuten, wir müssen sie in ihren vielfältigen Lebensformen bewahren und schützen. Auch die Wildtiere, alle Wesen aus Fleisch, ja alle Lebewesen sind mit Gott im Bund und sollen ihr Eigenleben behalten und entfalten – ohne vernichtende Eingriffe des Menschen.

So wird das Bundeszeichen des Regenbogens auch zu einem Mahnzeichen für uns: Mensch, du bist Teil dieser Schöpfung. Mensch, du verdankst dich selbst und dein Leben nicht dir selbst. Mensch, du brauchst die Gemeinschaft mit deinem Gott, um nicht maßlos, sondern menschlich zu leben! Darum geht Gott noch viel weiter mit dir, weil er dich erlösen will und mit dir die ganze Schöpfung.

Wie Gott das wahr macht, erfahren wir in Jesus.

Dreißig Jahre hat Jesus zurückgezogen in Nazaret gelebt, völlig unauffällig, eingegliedert in den damaligen sozialen und kulturellen Zusammenhang einer jüdischen Familie in Galiläa - bis Johannes der Täufer öffentlich zu predigen und zu taufen begann. Jesus sieht darin auch für sich das Aufbruchszeichen. Darum lässt auch er sich von Johannes taufen. Doch dann geht er zuerst in die Wüste, ins Leere. Der Heilige Geist treibt ihn dorthin, sagt der Evangelist Markus. Und er erwähnt, dass Jesus in diesen 40 Tagen bei den wilden Tieren lebt. Auch Jesus ist Teil dieser Schöpfung und sprengt die natürlichen Zusammenhänge nicht.

Aber in seiner Seele misst Gott den Raum des Menschen neu aus: Natur und Geist, die Heiligkeit Gottes und die Versuchung des Satans ringen in ihm miteinander. Am Ende seines irdischen Weges wird dieser Kampf durch Jesus ein für alle Mal ausgetragen am Kreuz und in seiner Auferweckung entschieden. Nicht für sich selbst braucht Jesus darum diese 40 Tage, sondern damit in seiner Seele Gott und wir Menschen mit unseren Versuchungen ganz zusammenkommen und daraus das Evangelium seinen Lauf nimmt. Der Evangelist erwähnt auch, dass Engel Jesus dabei dienen. Sie zeigen, dass die Erlösung, die wir Menschen wirklich brauchen, nicht nur ökologisch, sondern immer auch geistlich ist. Und so beginnt die Botschaft Jesu, das Evangelium: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

Liebe Schwestern und Brüder, die Corona-Pandemie dauert jetzt schon ein ganzes Jahr. Sie hat so etwas wie eine Wüste auf unser ganzes Menschenleben gelegt. Wir spüren: Diese Wüste ist lebensfeindlich. Sie nimmt uns so unsagbar viel Menschliches und Lebendiges. Diese Wüstenzeit muss ein Ende nehmen, ein gutes Ende, so hoffen wir. Die 40 Tage Jesu in der Wüste und damit auch diese 40-tägige Fastenzeit sollen uns in diesem Jahr helfen, dass die Corona-Zeit ein gutes Ende haben wird. Dann nämlich, wenn wir in der Nachfolge Jesu natürlichökologisch und geistlich zugleich leben wollen und umkehren, um neu an das
Evangelium zu glauben. Denn das Reich Gottes ist auch uns nahe. Und es ist nicht nur geistlich, sondern es umfasst unser ganzes Leben.

Ich möchte dazu zwei Gedanken vortragen, die jetzt, in der Corona-Zeit in unserer Seele den Raum für Gott und sein Wirken weiten können.

Der erste ist mehr geistlich, der zweite mehr natürlich.
(1) Der Höchste wohnt nicht in dem, was von Menschenhand gemacht ist. Das sagt der Märtyrer Stephanus über den Tempel in Jerusalem, den der König Salomo erbauen ließ (Apg 7, 48).

Durch die ganze Bibel hindurch zieht sich die Einsicht, dass Gott unfassbar ist, nicht zu reduzieren auf irgendetwas, das Menschen aufbauen, das Menschen erfahren, erkennen und erleiden.

Deshalb müssen wir immer der Versuchung widerstehen, eine endgültige Aussage über Gott zu machen, die nicht mehr offen ist für noch Größeres und Anderes. Nur Gott selbst kann sich selbst ganz ausdrücken, so dass nichts fehlt. Wir Christinnen und Christen glauben, dass er das in Jesus Christus getan hat und den Glaubenden aller Zeiten den Heiligen Geist schenkt, um Jesus richtig zu verstehen und im Glauben zu wachsen.

Umgekehrt aber bedeutet dieses Geheimnis Gottes dann auch, dass wir Leere aushalten und lernen müssen, das Nichtwissen, das Schweigen, ja sogar den Zweifel zu ertragen und die Finsternis.

Die Corona-Krise nimmt uns so viel von dem, womit unser Leben normalerweise gefüllt ist. Neue Fragen entstehen, die wir vorher nicht kannten. Menschen erleiden schwere Belastungen und Schicksale, auf die wir keine schnelle Antwort wissen, die wir aber auch nicht wegwischen können. Zum Glauben gehört es, das zu akzeptieren, denn wir sind sterbliche Menschen, keine Götter. Nur Einer ist Gott, wir nicht! Zum Glauben gehört es aber auch, für die Leidenden und die Zweifelnden mitzuglauben, ihre Not mitzutragen, lindern zu wollen.

Ich danke allen, die dafür sorgen, dass unsere Kirchen geöffnet bleiben, damit Menschen sich dort gerade in der Leere und Stille dem größeren Geheimnis Gottes aussetzen und beten können. 

(2) Da nun die […] Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen. So argumentiert der Apostel im Hebräerbrief (Hebr 2, 14), um zu zeigen, dass Jesus gerade durch seine Leiblichkeit zu unserem Erlöser wird.

Wie wahr das ist, das spüren die am meisten, die unter den Kontakt- und Besuchsverboten leiden. Das spüren alle, die in der bildenden Kunst und im kulturellen Leben der Schönheit und dem Geheimnis des Menschenlebens Ausdruck verleihen wollen und ihre Kunst nicht öffentlich ausüben dürfen. Das spüren durch den Lockdown die Menschen in der Gastronomie und Unterhaltung, die Kinder in den Schulen, die jungen Menschen in Ausbildung und Studium. Echte leibliche Präsenz ist nötig, um Mensch zu sein, um Leben zu teilen, um glauben zu können, um Gott zu spüren.

Deshalb halte ich unter den gebotenen Abstands- und Schutzregelungen an der Feier von Präsenzgottesdiensten fest. Und ich ermuntere alle, die in einem Haushalt zusammen leben, selber eine kleine Präsenzkirche zu bilden, indem sie es in dieser Corona-Zeit lernen, zusammen zu beten, einen kleinen Hausgottesdienst miteinander zu feiern, wenn sie am Sonntag nicht an einem öffentlichen Gottesdienst teilnehmen können, oder zusammen die Gottesdienstübertragungen mitzufeiern.

Aus all diesen Erfahrungen lernen wir das zu schätzen, was uns nach der Corona-Zeit wieder neu reich machen wird. Kirche braucht Präsenz! Verkündigung, Nächstenliebe, Gottesdienst, Gemeinschaft, das geht nicht ohne den Leib. Hören, sehen, sprechen, singen, riechen, schmecken, sich ins Gesicht sehen, eine Hand spüren, eine Umarmung, ein gedeckter Tisch, eine wärmende Decke, Wasser, Licht, Salböl, Brot und Wein, die Auflegung der Hände: alle diese Zeichen sprechen von Gott und von der Weise, wie er in Jesus präsent geworden ist in dieser Welt.

Und darum freue ich mich schon auf den Tag, an dem wir uns zu all dem wieder ohne die jetzigen Einschränkungen versammeln können mit der Freude, mit Leib und Seele zusammen zu sein. Dann werden wir Gottes Regenbogen wieder neu leuchten sehen und uns freuen an seinem Bund mit allen Lebewesen. Beten wir gemeinsam darum, dass dieser Tag uns bald von Gott geschenkt sein wird! Und nutzen wir die Zeit bis dahin, besonders diese kommenden 40 Tage, um ernsthaft umzukehren in Gedanken, Worten und Werken zu einem Leben natürlich-ökologisch und geistlich. Denn das Reich Gottes ist nahe.

Dazu segne Sie alle der dreifaltige Gott, der Vater + und der Sohn und der Heilige Geist.

Ihr Bischof
+ Helmut