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"Das ist nicht mehr meine Kirche"

Datum:
21. Juni 2021
Von:
Pfarrer Michael Röring

Diese Antwort erhielt ich von einer aus der Kirche ausgetretenen Person. Vom Anfang des Jahres bis Ende April sind 42 Menschen aus der Pfarre St. Matthias ausgetreten. Inzwischen sind es bundesweit selbst engagierte Gläubige aus der Mitte der Gemeinde, die der Kirche den Rücken kehrten. Seit einigen Jahren bitte ich sie, mir die Gründe ihres Austritts mitzuteilen. Viele antworten auf meine Nachfrage. Vielfach war es die Höhe der Kirchensteuer. Aber seit dem letzten Herbst geben sie verstärkt an, dass sie mit der Vertuschung der Kirchenleitung bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, zur Rolle der Frau in der Kirche, zur Weigerung andere Lebensgemeinschaften als die Ehe anzuerkennen und ihnen den Segen Gottes zuzusprechen, die Weigerung des Kölner Erzbischofs die erste Studie zu veröffentlichen, unzufrieden sind. Es sind nicht mehr Tropfen, sondern Eimer, die das Fass für sie zum Überlaufen gebracht haben.

Diejenigen, die noch ausharren, fühlen sich zunehmend gedrängt, ihr Bleiben in der römischen Kirche zu rechtfertigen. „Wie kannst du diese verbrecherische Organisation noch finanziell unterstützen?“, werden sie vielleicht gefragt. Man muss erklären, begründen und argumentieren. Viele merken, dass sie dazu keine Lust mehr haben und verzweifeln an der Weigerung mancher Bischöfe, Reformen zuzulassen. Aus vielen Gesprächen spüre ich, dass sie die Verlogenheit, Doppelmoral und den Zynismus des Systems Kirche kaum mehr ertragen. Und es sind offensichtlich die ganzen kritischen Punkte, die schon seit langem auf dem Tisch liegen: der Umgang mit Missbrauch, mit Macht, die Frage der Geschlechtergerechtigkeit, der Sexualmoral, der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren, die Frage danach, wer was in unserer Kirche werden darf. Der Umgang der Kirche mit diesen Themen hat nichts mehr mit den Überzeugungen zu tun, die viele Menschen in ihrem sozialen Umfeld leben.

Der Auszug der Getauften ist eine Katastrophe! Denn er bedeutet: Kirche, und damit wir alle, wird ihrem Auftrag, den Menschen ein Zeugnis von Gott zu geben, nicht gerecht. Wir müssen viel mehr zuhören – und Möglichkeiten des Miteinander schaffen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche Bischöfe den Auszug derer, die ihnen unbequem werden, vielleicht begrüßen. Sie würden lieber mit einem bischofstreuen, unkritischen „heiligen Rest“ weiter machen.

Warum trotzdem in der Kirche bleiben? Einer der meistgenannten Gründe zu bleiben, ist das Gemeinschaftsgefühl. Die Kirche ist nach wie vor für viele eine zweite Familie und ein Zuhause, auch wenn es durch die Pandemie erschwert wird, das zu leben. Die Kirchen sind geübt darin, Angehörige durch die Trauer zu begleiten. Die Kirchen finanzieren aus Kirchensteuermitteln ein flächendeckendes Netz der Sterbe- und Trauerbegleitung. Irgendwann braucht das jeder von uns.

Junge Menschen werden in Deutschland fein säuberlich auf Schulen sortiert. Leider passiert das nicht nach Intelligenz, sondern viel mehr nach Elternhaus. Je gebildeter und einkommensstärker die Eltern, desto eher landet ein Kind auf dem Gymnasium. Nachgewiesen wurde das schon in unzähligen Studien, effektiv geändert hat noch niemand was daran. Deshalb sind die kirchlichen Lehr- und Lernveranstaltungen wie die Firmvorbereitung so interessant. Sie bilden eine der ganz seltenen gesellschaftlichen Gelegenheiten, bei denen sich junge Menschen über Schularten hinweg begegnen und gemeinsam lernen. Früher gab es das sonst in der Größenordnung nur noch beim Bund und beim Zivildienst. Beides gibt’s nicht mehr.

Einer der für mich besten Gründe in der Kirche zu bleiben ist, dass die Kirchen durch den Austritt der Kritiker ihren Einfluss in der Gesellschaft nicht verlieren würden, aber einen internen Kritiker. Solange Leute wie sie in der Kirche Mitglied sind, müssen die Bischöfe auch Rücksicht auf Leute wie sie nehmen. Wenn sie versuchen, die internen Kritiker zu binden und zu halten, trägt das mit dazu bei, dass sich allzu radikale Positionen nicht durchsetzen. Dafür bleibe ich gerne.